Historischer Rückblick und Momentaufnahme.

Girtler, Roland: Verbannt und Vergessen.

Eine untegehende deutschsprachige Kultur in Rumänien. Veritas Verlag, Linz 1992. 208 Seiten, Leineneinband mit Schutzumschlag, DM 44,-;ÖS 298,-

Gewiß war es kein reiner Zufall, daß das neu erschienene Buch über das Leben der Landler in Siebenbürgen und deren vergehende Kultur kurz vor der feierlichen Eröffnung des Landler-Museums im österreichischen Bad Goisern am 27.Juni d.J. schon vorlag. Wenn doch , dann war es ein bedeutungsschweres und schönes Zusammentreffen.

Der Verfasser, Roland Girtler, Kultur-und Sozialwissenschaftler in Wien und gebürtiger Oberösterreicher, schloß sich im Herbst 1990 einer Forschergruppe aus Wien an, zu der ein Linguist, zwei Volkskundler, eine Musikwissenschaftlerin, eine Fotografin und ein Zigeunerforscher gehörten und deren Arbeiten vom Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung organisiert und finanziel unterstützt wurden.

Ausgangs- und Mittelpunkt für Girtlers Untersuchungen war der (ehemalige) Landlerort Großpold, der sich wegen seiner "besonderen Lage"und "relativen Unberührtheit" geradezu anbot. Während seines Aufenthaltes in Siebenbürgen wohnte Girtler hier in einem sonst leerstehenden Landlerhaus; hier suchte und fand er den engen Kontakt mit der Bevölkerung, die er für seine "freie Feldforschung", die vielen Gespräche und die zahlreichen Zusammenkünfte mit den alten und jungen von Großpold benötigte.

Ausgehend von der Geschichte der Landler seit ihrer Transmigration vornehmlich aus dem oberösterreichischen "Landl"(Traun-und Hausruckviertel) nach Siebenbürgen um die Mitte des 18. Jahrhunderts und der ihr vorangehenden Bauernkriege in Oberösterreich mit ihren standhaltenden protestantischen Bauern, über das Zusammentreffen mit den Siebenbürger Sachsen in Siebenbürgen, die im Gegensatz zu den Landlern als freie Bürger schon Hunderte Jahre früher ins Land gekommen waren, entwirft Girtler ein lebendiges Bild vom Wesen und Leben der Landler. Wiederholt charakterisiert er sie als "von protestantischer Arbeitsethik" durchdrungen, deren "Gedanken von der gottgefälligen Arbeit tief ins Sozialleben der Landler verankert" sei. Diese Ethik äußere sich nicht nur in Fleiß und Arbeit, sondern in Treue, Zuverlässigkeit, Ordnungsliebe und "einzigartiger" Sauberkeit. In einer Art Momentaufnahme zeigt Girtler den augenblicklichen, seelisch beinahe unerträglichen Zustand zwischen "bleiben und gehen" auf, zwischen dem Verbleiben in der alten Heimat, bzw. dem Aufgeben der alten Heimat und dem "Zurückgehen" in die "Urheimat", dem diese zahlenmäßig so kleine deutsche Minderheit in Rumänien seit dem letzten Krieg und ganz besonders seit der Revolution von 1989 ausgesetzt ist. Vom Bewältigen des Alltags im Kommunismus ist die Rede, vom Leben als "Deutsche" inmitten des Mehrheitsvolkes, von den eher eingeschränkten Beziehungen zu den Rumänen und den distanzierten Kontakten zu den Zigeunern, u.a. bedingt durch die so gegensätzliche Lebensweise und Kultur letzterer.

Von Kindsein in Großpold wird berichtet und von den großen Gemeinschaftsorganisationen der Landler, die jeden einzelnen wie eine schützende und ordnende Klammer umfassen, und welche Funktionen die großen Feste im Jahres-und Lebenskreis für die Gemeinschaft haben.

Girtler schildert den ernsten Alltag mit all seinen Belastungen und existentielen Fragen und wie dieser mit Spiel, Witz und Humor bewältigbar wird.

Der Autor läßt auch diejenigen nicht außer Acht, die aus Überzeugung aus ihrer frei gewählten neuen Heimat wieder nach Siebenbürgen zurückkehren - aus welchen Gründen immer - und welchem Gruppendruck diese wagemutigen Menschen ausgesetzt sind.

In einem Werbezettel für dieses Buch wird vom "entwissenschaftlichten" Schreibstil des Autors gesprochen- und in der Tat: Girtler geht, wie mir scheint, unbelastet an seine Aufgabe heran; für ihn ist alles neu, seltsam, exotisch. In seiner Begeisterung läßt er - oft überlang - die einzelnen Landler in direkter Rede zu Wort kommen, flicht auch immer wieder seine eigene, engagierte Stellungnahme ein.

"Verbannt und Vergessen" ist ein ehrliches, ein entwaffnendes Buch. Auch wenn ihm manche Kürzungen gut getan hätten und einige Druckfehler vermeidbar gewesen wären (u.a. S.23, 3. Zeile v.o.: 1900 statt 1800; S. 25, 4. Zeile v.u.: 1626 statt 1926; S. 62, 4. Zeile v.u.: Salischte (dt) oder Säliste (rumän.) statt Selista), so ist das Buch bestimmt ein gelungenes Spiegelbild des gegenwärtigen Lebens der Landler hüben und drüben. Girtlers Verdienst ist es, für weite Kreise der Bevölkerung auf die kleine Gruppe der "Altösterreicher" aufmerksam zu machen und sie und deren Kultur somit der Vergessenheit zu entreißen. R.A.

Siebenbürgische Zeitung Folge 12 31-Juli 1992.